Epochale Veränderung im Schienengütertransport.

Will Europa sein 2030-Ziel erreichen, den Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene von heute 18 auf dann 30 Prozent zu steigern, muss die Digitalisierung des Güterwagens und seines gesamten Betriebes her. Was hinter dem Digital Freight Train (DFT) steckt. Und woran die Knorr-Bremse Ingenieure konkret arbeiten.

„Im Gegensatz zu Passagierzügen kuppeln wir Güterzüge in Europa quasi wie vor hundertdreißig Jahren“, sagt Andreas Leiber, Director Sales & Systems für Zugkupplungen bei der Knorr-Bremse Systeme für Schienenfahrzeuge GmbH. „Der Rangierbegleiter steht zwischen den Wagen, hängt den 30-Kilo-Zugbügel der Schraubenkupplung am Zughaken ein, spannt die Verbindung und verbindet abschließend die Bremsleitungen.“ Einen Zug mit 25 Wagen zusammenzustellen, das könne schnell eine ganze Stunde dauern. Auch andere Vorbereitungen erfolgen manuell. Jede einzelne Bremse wird zum Beispiel an einem neu zusammengestellten Zug auf einwandfreie Funktionalität überprüft. Noch einmal eine Dreiviertelstunde.

Zu langsam, zu träge, zu kompliziert: Warum der Gütertransport auf der Schiene einen Relaunch braucht

Ortswechsel nach Brüssel. Bis zum Jahr 2030 will die EU den Anteil des Gütertransports auf der Schiene von 18 auf dann 30 Prozent steigern. Kein Wunder: Kein anderes Verkehrsmittel ist so grün wie die Bahn. Und kein anderes Verkehrsmittel kann durch Stromvergrünung so schnell einen 100-Prozent-Anteil an erneuerbaren Energien erreichen wie die Schiene. Pro Tonnenkikometer stößt ein Lkw etwa 111 Gramm Treibhausgase aus. Der Güterzug nur 17 Gramm.

Doch für das EU-Ziel der 30 Prozent ist eine klare Bedingung gesetzt: Der Gütertransport auf der Schiene muss deutlich wettbewerbsfähiger werden. Nicht automatisierte Zugvorbereitungsprozesse machen ihn zu langsam, zu träge, zu teuer, zu umständlich, zu unflexibel. Zurzeit haben Güterwagen ja noch nicht einmal eine Stromversorgung.

Digital Freight Train (DFT): Automatisierte Prozesse und digitale Lösungen

Der Digital Freight Train – kurz: DFT – wird beim 30 Prozent-Ziel der entscheidende Hebel. Angefangen beim einzelnen Güterwagen sollen automatisierte Prozesse und digitale Lösungen Transportkapazitäten, Effizienz und Verfügbarkeiten steigern. Am Ende stünde ein intelligenter, intermodaler Flottenbetrieb, indem sich die einzelnen Transportaufträge wie von selbst den schnellsten Weg zum Ziel suchen. Aber erst ein intelligenter, automatisierungsfähiger Wagen ermöglicht intelligente und automatisierte Prozesse für den ganzen Zug und die Flotte.

Knorr-Bremse treibt den Digital Freight Train im Rahmen der europäischen Technologieinitiative Shift2Rail voran sowie im Technischen Innovationskreis Schienengüterverkehr (TIS). Vom Wagen über den Zug bis zur Zugzusammenstellung fokussieren die DFT-Entwickler drei Hauptaktionsfelder:

  • FreightLink: Digitale Automatische Kupplung (DAK)

    Die Lösung für den Schienengüterverkehr des 21. Jahrhunderts lautet: Digitale automatische Kupplung (DAK). Im Personenverkehr längst Standard soll die Technik nun auch zwischen Güterwagen automatisch die Verbindung herstellen. Damit ist nicht nur das mechanische Koppeln oder das Zusammenschließen der Leitungen für die Druckluft des Bremssystems gemeint. Auch neue Leitungen für Strom und Datensignale verbinden sich künftig automatisch.

    Gerade diese neuen Verbindungen sind zentrale Voraussetzungen für die Digitalisierung des Güterverkehrs – und damit der Enabler für neue Technologien rund um den automatisierten Fahrbetrieb. Momentan befinden sich DAK-Varianten unterschiedlicher Hersteller im Feldtest. Wenn voraussichtlich ab Mitte der Jahrzehnts die Umstellung von rund einer halben Million europäischer Güterwagen beginnt, wird auch die automatische Güterwagenkupplung von Knorr-Bremse mit von der Partie sein.

  • FreightControl: Elektronische Hard- und Software am Güterwagen

    Jeder Güterwagen soll künftig mit einer elektronischen Hard- und Software für digitale Funktionalitäten ausgestattet sein. Darüber hinaus verarbeitet die Elektronik Sensordaten und verknüpft sie innerhalb des Zugverbands sowie mit der Cloud des Bahnbetreibers. Damit wird die Condition Based Maintenance, die zustandsbasierte Wartung, bald auch umfangreich für Güterwagen zugänglich. Als Feature ist auch die digitale oder automatische Bremsprobe mit an Bord.

    Spielen zusätzlich noch digitale automatische Kupplungen (DAK), digitale Bremsprobe und intelligente Umfelderkennung zusammen, lassen sich auf einmal auch Rangieranlagen hochautomatisiert betreiben. Kurzum: Die Funktionalitäten öffnen Tor und Tür, die heute noch so langwierigen Prozesse rund um den Güterwagenbetrieb deutlich zu verkürzen.

  • Zukünftiges elektro-pneumatisches Bremssystem (EP-Brake)

    Notgedrungen, weil ja keine Elektronik an Bord ist, werden Güterzüge in Europa ausschließlich pneumatisch gebremst. Dabei überträgt Druckluft Bremssignal und Bremskraft gleichzeitig. Entscheidender Nachteil: Das Signal breitet sich nur träge entlang des Güterzugs aus.

    Das elektro-pneumatische Bremssystem der Zukunft, an dem Knorr-Bremse arbeitet, adaptiert eine Lösung aus dem Passagierbetrieb: Ausgestattet mit elektrischen Leitungen ließen sich Brems- und Steuerungssignale künftig auch in Güterzügen elektronisch übertragen – und dann an den Drehgestellen zeitgleich pneumatisch umsetzen. Dadurch könnten längere und schwerere Züge bei gleichem Bremsweg schneller fahren. Ein echter Faktor, wenn es um erhöhte Transportkapazitäten auf der Schiene geht.

Keine Frage, die Schritte zum Digital Freight Train sind hochkomplex. Umso essenzieller für den Erfolg wird deshalb vor dem Hintergrund der Interoperabilität die branchenweite Kooperation. Ob Wagenmechanik, Elektrik und Softwareausstattung, DAK, pneumatische Bremsausrüstung und bald auch die elektropneumatische Güterwagenbremse: Sie alle müssen von verschiedenen Herstellern kommen können – und trotzdem im System Digital Freight Train harmonieren.

Zurück zur Übersicht: Newsforum