Digital Freight Train - Hebel für die Verkehrswende.

Bis zum Jahr 2030 will die Europäische Union den Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene von derzeit 18 auf dann mindestens 30 Prozent steigern. Die Digitalisierung und Automatisierung der Güterwagen gilt für dieses Ziel als der Hebel schlechthin. Doch um das Potenzial des Digital Freight Trains (DFT) mit seinem zentralen Wegbereiter der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) hinsichtlich gesteigerter Transportkapazitäten, Effizienzen und Verfügbarkeiten voll ausspielen zu können, ist nicht nur eine Kraftanstrengung der gesamten Branche nötig: Vor allem braucht es zügig einheitliche Standards für die Kuppelfähigkeit sowie Nachweisführung mittels Referenzprüfung.

Steigende Treibhausemissionen, die Erderwärmung und eine deutliche Zunahme von Umweltkatastrophen wie Hitze, Stürme oder Regenfälle gefährden das Überleben der Menschheit unter guten Lebensbedingungen. Zu diesen Rahmenbedingungen bedarf es keiner großen Erläuterung mehr. Gleiches gilt für die besondere Verantwortung des Verkehrssektors als größter Energieverbraucher und drittgrößter Treibhausgasproduzent in Deutschland [1]. Er steht deshalb zurecht im Mittelpunkt der Klimaschutzpläne der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Union (EU), die einen großangelegten „Shift” von der Straße auf die Schiene anvisieren. Erklärtes Ziel der EU ist etwa, bis zum Jahr 2030 den Anteil des Gütertransports auf der Schiene von heute 18 Prozent auf dann mindestens 30 Prozent zu steigern. Der Fokus auf die Schiene liegt nahe: Umgerechnet auf Tonnenkilometer stößt ein Lkw etwa sechseinhalb mal mehr Treibhausgase aus als ein Güterzug. Etwa 111 Gramm – anstatt 17 Gramm [2].

Dennoch stellt der Schienengüterverkehr von heute keine wettbewerbsfähige Alternative zum Transport auf den Fernstraßen dar. Insbesondere der Einzelwagenverkehr entspricht nicht mehr den Anforderungen des 21. Jahrhunderts an flexible Transportketten. Wer heute einen Güterzug zusammenstellt, muss einiges an Zeit einplanen: Zuerst kuppelt der Rangierbegleiter die einzelnen Wagen manuell zusammen. Dann befestigt er den Bügel der Schraubenkupplung am Zughaken. Schließlich folgen die pneumatischen Bremsleitungen. Ist der Zug zusammengekuppelt, läuft ihn der Bremsprobenverantwortliche mehrfach ab und überprüft jede einzelne Bremse auf einwandfreie Funktionalität. Parallel ist der Vorbereitungsdienst aktiv und kontrolliert beispielsweise die Ladeklappen oder steckt die Zugschlusstafeln in die Halterungen.

Die zahlreichen nichtautomatisierten Zugvorbereitungs- und Betriebsprozesse tragen erheblich dazu bei, dass der Güterverkehr zu langsam, zu teuer, zu umständlich, zu unflexibel ist – und damit nicht mehr wettbewerbsfähig. Der Lösungsweg, soviel ist klar, führt über automatisierte Prozesse an Zügen und Flotten.

Kontakt

Carina Smid Marketing Rail

Moosacher Str. 80
80809 München
Deutschland

Tel.: +49 89 3547-182347
carina.smid@knorr-bremse.com

Neben den betrieblichen Schnittstellen B und C spielt auch die technische Schnittstelle der Fahrzeuge (A) hinsichtlich Kuppelfähigkeit gerade im Einzelwagenverkehr eine entscheidende Rolle.

Die Digitale Automatische Kupplung (DAK) als zentraler Wegbereiter für eine weitreichende Automatisierung und Digitalisierung des Schienengüterverkehrs

Die Ausrüstung von Güterwagen und Lokomotiven mit Digitalen Automatischen Kupplungen (DAK) sowie entsprechender elektronischer Steuerungen, Sensorik und Aktuatorik fungiert in Punkto Funktionalitäten als zentraler Wegbereiter. Durch die DAK wird zum Einen der zeitaufwendige Prozess des manuellen Kuppelns vereinfacht, indem sie die mechanische und pneumatische Verbindung automatisiert kuppelt. Zum Anderen wird gleichzeitig die elektrische Energieversorgung aus der Lokomotive sowie ein Kommunikationsnetzwerk entlang des gesamten Zugverbands hergestellt.

Aktuell befinden sich zwei Ansätze in der Betrachtung:

  • „DAK4“: automatisches Kuppeln und manuelles Entkuppeln
  • „DAK5“: automatisches Kuppeln und ferngesteuertes Entkuppeln

Um die betrieblichen Vorteile der neuen Kupplung insbesondere im Einzelwagenverkehr voll nutzen zu können, ist die Stufe „DAK5“ nötig. Sie beschleunigt Zusammenstellen und Rangieren der Züge maßgeblich und erhöht damit ebenso die Kapazität des Güterverkehrs. Betreiber profitieren zudem von der verbesserten Planbarkeit der Abläufe und nicht zuletzt von der erhöhten Sicherheit ihres Betriebspersonals.

Gerade die „DAK5“-Stufe muss dabei Lösungen mit höchsten funktionalen Sicherheitsanforderungen gegen unbeabsichtigtes Entkuppeln oder Wegrollen bereitstellen. Hiervon unabhängig sind weitere Anforderungen an die neu zu integrierenden Automatisierungssysteme zu definieren, allen voran hinsichtlich Energiemanagement, Train-Communication sowie der Kommunikation von und zur Cloud unter anderem für over the air services. Dies bedingt notwendigerweise auch hinreichende Maßnahmen zur Abwehr von Cyberangriffen.

Automatisierung des Betriebs dank elektronischer Ausrüstung am Güterwagen

Konkret stehen folgende Funktionalitäten im Mittelpunkt der Entwicklungen:

  • Automatisierte Bremsprobe: Sie soll enorme Effizienzen in der Zugvorbereitung heben, indem sie das zeitaufwendige Ablaufen des Zugverbands durch Vorbereitungspersonal obsolet macht. Als umfassendes Überwachungssystem konzipiert, erfasst das Bremsprobensystem alle relevanten Bremszustände und stellt sie benutzerfreundlich sowie in Echtzeit auf einem mobilen Endgerät dar.
  • Fernsteuerung der Kupplung (DAK5): Sie soll, der Name sagt es, auch das Entkuppeln eines Zugverbands von der Lok aus ermöglichen. Dafür werden gegenüber der DAK4 zusätzliche Aktuatoren an den Kupplungen nötig.
  • Feststellbremsenansteuerung: Feststellbremsen blockieren die Achsen der Güterwagen, um ungewolltes Wegrollen zu verhindern. Eine Elektronik am Wagen vorausgesetzt, könnte diese auch die (zusätzlich nötigen) Aktuatoren einer Feststellbremse ansteuern.
  • Zugtaufe und Zugvollständigkeitsüberwachung: Mit einem vollständig ausgerüsteten Digital Freight Train werden die Zugtaufe und die Überwachung der Zugvollständigkeit als Voraussetzung für alle Zugfunktionen. Die Einführung von zusätzlichen End-of-Train-Geräten würde sich erübrigen.

Unter der Voraussetzung, dass der betriebliche Nutzen den zusätzlichen Aufwand rechtfertigt, könnte der DFT auch den Weg zur Einführung einer elektropneumatischen Güterzugbremse ermöglichen. Deren Grundvoraussetzung in Form einer elektronischen Infrastruktur wäre mit ihm schließlich an Bord. Relevant für die Wirtschaftlichkeitsrechnungen eines digitalisierten Schienengüterverkehrs könnte dessen Automatisierungs¬ausrüstung auch an weiterer Stelle werden: Wenn diese neben den originären Funktionalitäten auch noch als Plattform für Condition Based Maintenance dienen würde.

Konzept eines herstellerunabhängigen Referenzprüfsystems

Einheitlicher Standard von Schnittstellen und Zugfunktionen für den gesamten europäischen Schienenverkehrsmarkt

So attraktiv der Mehrwert des Digital Freight Trains zweifellos ist, so komplex ist seine Technologieentwicklung insbesondere vor dem Hintergrund der innerhalb Europas so wichtigen Interoperabilität hier zwischen den Fahrzeugen des Zuges. Ähnlich den UIC-Regularien und EN-Normen zu pneumatischen Bremssystemen, um etwa die Verwendung von beispielsweise Steuerventilen verschiedener Hersteller in einem Zugverband zu ermöglichen, ist ein entsprechendes Regelwerk bereits zum Betriebsstart eines DFT unerlässlich. Sind Netzwerkkommunikation und Anwendungsprofile sowie die Stromversorgung einmal festgelegt, erscheint die Vereinheitlichung der elektromechanischen Kupplung der Wagen technisch überschaubar.

Ungleich komplexer gestaltet sich dagegen die softwarebasierte Funktionsebene, da die langfristige Schnittstellenkompatibilität technische Weiterentwicklungen des Gesamtsystems nicht behindern darf. Hierzu ist eine klare und vereinheitlichte Separierung von technischen Fahrzeugfunktionen und betrieblicher Verantwortung des Bedienpersonals notwendig. Dass damit eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung der Betriebsprozesse einhergehen sollte, ist angesichts von hunderten Eisenbahnverkehrsunternehmen in Europa ebenso offensichtlich wie herausfordernd.

Einen weiteren Themenkomplex stellen die Sicherheits- und Verfügbarkeitsbetrachtungen auf Zugfunktionsebene dar. Während die möglichst generischen Sicherheits- und Verfügbarkeitsziele im Rahmen der neuen Initiative „Europe’s Rail Joint Undertaking“ (ERJU) zwischen Fahrzeugherstellern, Bahnbetreibern und der Zuliefererindustrie abzustimmen wären, müssten sich die Sicherheitsnachweise für die Zulassung jeweils auf das Einzelfahrzeug – in diesem Fall den Güterwagen oder die Lokomotive – beziehen.

Wie sehr dabei die Zeit drängt, macht ein Rückblick in die jüngere Vergangenheit deutlich: Obwohl die Standardisierung allein der mechanischen DAK-Schnittstellen vergleichsweise unkompliziert erscheint, beschäftigt sie den Sektor bereits seit Jahren.

Nachweisführung und Referenzprüfung

An diese Überlegungen schließt sich die Frage an, wie sich der gesamte Lebenszyklus der DFT-Fahrzeuge am geschicktesten bewerkstelligen ließe. Ein zentraler Punkt dabei: Die Integration ins heutige Instandhaltungskonzept, innerhalb dessen jeder Güterwagen grundsätzlich in jeder Werkstatt in Europa in Stand gesetzt oder repariert werden können muss. Hierzu müssen sicherlich noch passende Antworten, wie z.B. durch mobile Instandhaltung gefunden werden.

Darüber hinaus gilt es sicherzustellen, dass sich auch langfristig neue oder überarbeitete Fahrzeuge nahtlos in den interoperablen Verkehr der Güterfahrzeuge in Europa einfügen. In dieser Hinsicht verfolgt die Branche bereits Überlegungen über die Einführung eines Referenzprüfverfahrens, bei dem die Fahrzeuge mit Automatisierungsausrüstungen einer vollumfänglichen Funktionsprüfung mit Hilfe eines Referenzprüfsystems an den drei definierten Schnittstellen unterworfen werden sollen. Integriert in die sicherheitstechnische Nachweisführung könnten am Referenzprüfverfahren neue oder modernisierte Wagen und Lokomotiven vollständig und herstellerunabhängig funktional überprüft werden. Dazu sind in den notwendigen Schnittstellenspezifikationen auch hinreichende Akzeptanzkriterien für die Zugfunktionen zu definieren.

Genauso wenig, wie der Digital Freight Train mit seiner Einführung zu Ende entwickelt wäre, müsste sich allerdings auch das Referenzprüfsystem stetig abwärtskompatibel weiterentwickeln, um so auch über den gesamten Lebenszyklus der Fahrzeuge und Fahrzeuggenerationen Änderungen einbringen zu können.

Zusammenfassung:

Der heutige Güterverkehr ist nicht mehr wettbewerbsfähig gegenüber der Straße. Mit seiner Digitalen Automatische Kupplung (DAK) und leistungsfähigen Automatisierungssystemen will der Digital Freight Train den „Shift“ zurück einläuten – mit bislang im Güterverkehr gänzlich neuen Funktionalitäten: Automatisierte Bremsprobe, Feststellbremsansteuerung sowie Fernsteuerung der Kupplung, Zugtaufe und Zugvollständigkeitsüberwachung. Die Technologien dazu befinden sich in der Entwicklung. Doch der Plan steht und fällt mit der zügigen Etablierung europaweit einheitlicher Definitionen und Standards für das Rollout des Digital Freight Train. Das ERJU-Programm der Europäischen Union bietet den perfekten Rahmen, all dies zu ermöglichen – gehen wir es an!

Autoren: Dr. Thomas Anton, Steffen Jass

Literaturverzeichnis:

[1] Energieverbrauch nach Energieträgern und Sektoren. Umweltbundesamt. https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/energieverbrauch-nach-energietraegern-sektoren#entwicklung-des-endenergieverbrauchs-nach-sektoren-und-energietragern

[2] Höhe der Treibhausgas-Emissionen im deutschen Güterverkehr nach Verkehrsträgern im Jahr 2019. Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/881600/umfrage/co2-emissionen-im-deutschen-gueterverkehr-nach-verkehrsmitteln/

Druckversion

ETR Ausgabe 07/08 2022 "Digital Freight Train-Hebel für die Verkehrswende"
[PDF, 276,6 KB]
Zurück zur Übersicht: Fachartikel