Fahrerstand mit Fahrzeuginstrumenten und Gleisanlage.

Durchbruch für Fahrerassistenzsysteme?

Belastbare Prognose der Energieeinsparung auf Basis von Echt-Daten.

Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) äußern im Rahmen einer Marktstudie zwar ein sehr hohes Interesse an der Nutzung von Fahrerassistenzsystemen, zeigen sich bzgl. entsprechender Investitionen aber noch zurückhaltend [1]. Als Hauptgrund hierfür nennen viele EVU einen Mangel an belastbaren Daten über die erzielbare Energieeinsparung. DB Cargo, DB Analytics, Knorr-Bremse und die Beratungsgesellschaft Berg, Lund & Company (BLC) haben ein Modell zur zuverlässigen Übertragung der durch das Fahrerassistenzsystem LEADER bei DB Cargo realisierten Einsparungen auf Dritt-EVU im Schienengüterverkehr entwickelt. Damit steht diesen eine Möglichkeit zur Verfügung, einen individuellen und vor allem belastbaren Business Case für eine entsprechende Investition aufzusetzen.

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Fahrerstand mit Displays und Bahnsteuerungstechnologie.Fahrerstand mit Displays und Bahnsteuerungstechnologie.
Bild 1: Aus den Echt-Daten des FAS LEADER bei DB Cargo lassen sich belastbare Aussagen zur erzielbaren Energieeinsparung interessierter EVU ableiten.

Fahrerassistenzsysteme mit bislang geringer Marktdurchdringung

Fahrerassistenzsysteme (FAS) gelten im Schienengüterverkehr als ein probates Mittel zur Senkung des Energieverbrauchs. Sie liefern dem verantwortlichen Triebfahrzeugführer während einer Zugfahrt entweder kontinuierlich oder punktuell Hinweise auf die jeweils energieeffiziente Geschwindigkeit (Bild 2). Für deren Ermittlung werden neben Fahrplaninformationen und Zugcharakteristika auch topografische Daten und wo immer möglich dynamische Verkehrsinformationen berücksichtigt (z. B. zur Vermeidung von Trassenkonflikten) [2]. Über ein verändertes Fahrverhalten des Triebfahrzeugführers soll so eine flüssigere und effizientere Verkehrsdurchführung ermöglicht und damit der Energieverbrauch in Summe gesenkt werden.

Hersteller von FAS prognostizieren häufig mögliche Energieeinsparungen im bis zu zweistelligen Prozentbereich. Damit ließen sich schon bei einer einzelnen Zugfahrt mit einem durchschnittlichen Energieverbrauch von ca. 10.000 kWh Einsparungen im Bereich von ca. 150 Euro erzielen. Je nach Größe des EVU und des entsprechenden Energieverbrauchs sind so jährliche Einsparungen in Millionenhöhe möglich.

Ein Vorreiter im Einsatz von Fahrerassistenzsystemen zur Reduktion des Energieverbrauchs ist DB Cargo. Dort wird das FAS LEADER aus dem Hause Knorr-Bremse bereits seit über vier Jahren genutzt und ist mittlerweile auf einer Flotte von circa 650 Triebfahrzeugen unterschiedlicher Baureihen installiert. Die Erfahrungen aus dem Einsatz zeigen, dass die Triebfahrzeugführer die systemseitig generierten Hinweise insbesondere seit der Integration der dynamischen Verkehrsinformationen („Grüne Funktionen“ der DB Netz AG) sehr gut annehmen und sich so eine spürbare Verbesserung der Energieeffizienz erzielen lässt.

Digitales Dashboard mit Geschwindigkeitsanzeige und Streckendaten.Digitales Dashboard mit Geschwindigkeitsanzeige und Streckendaten.
Bild 2: Das FAS liefert dem verantwortlichen Triebfahrzeugführer während einer Zugfahrt Hinweise auf die jeweils energieeffiziente Geschwindigkeit.

Auch andere EVU sind grundsätzlich sehr interessiert an der Technologie, agieren allerdings bislang zurückhaltender. Dies belegt eine aktuelle Marktstudie zur Verbreitung von FAS im Schienenverkehr von Knorr-Bremse in Zusammenarbeit mit BLC: Unter 30 Prozent der befragten Unternehmen [1] hat bislang mindestens einen Teil seiner Triebfahrzeuge mit einer entsprechenden Technologie ausgestattet. Woran liegt das?

Aussagen zur Energieeinsparung beruhen auf Simulationsrechnungen

Als einen Hauptgrund für die Zurückhaltung nennen die im Rahmen der Marktstudie befragten Unternehmen den Mangel an konkreten Daten über die realisierbare Energieeinsparung. Zwar wird die FAS-Technologie von nahezu allen Studienteilnehmern als sehr interessant bewertet [1], allerdings sehen sich viele EVU nicht in der Lage, den jeweiligen Entscheidungsgremien einen belastbaren Business Case für die erforderliche Investition vorzulegen.

In der Tat stützen die meisten Hersteller von FAS ihre Angaben über erzielbare Energieeinsparungen auf Simulationsrechnungen. Theoretisch berechnete Energieverbräuche aufgrund von Fahrempfehlungen aus Prognose- und Simulationssystemen werden dann tatsächlichen Energieverbräuchen gegenübergestellt und so eine Einsparung ermittelt. Dabei können naturgemäß zahlreiche, in der Realität aber entscheidende Faktoren nur unzureichend berücksichtigt werden. Drei Beispiele verdeutlichen dies:

  • Die Vorrangregelung des Personenverkehrs ist für den Energieverbrauch im Güterverkehr von hoher Bedeutung: Bereits ein außerplanmäßiger Halt aufgrund eines Trassenkonflikts zieht erhebliche Mehrverbräuche nach sich. Eine realitätsnahe Erfassung solcher Halte auf Basis der aktuellen Verkehrslage ist im Rahmen einer Simulation nur unzureichend möglich.
  • Witterungsbedingungen können, z. B. aufgrund verminderter Traktion, eine Anpassung der Fahrweise erforderlich machen – dabei spielt die individuelle Erfahrung eines Triebfahrzeugführers eine entscheidende Rolle. Auch die Hinterlegung dieser Erfahrungswerte kann im Rahmen einer Simulation nur sehr bedingt erfolgen.
  • In der Praxis wird eine Fahrempfehlung nicht immer zur Verfügung stehen (z. B. durch eingeschränkte technische Verfügbarkeit aufgrund eines fehlenden GPS-Signals) oder schlicht und ergreifend nicht zu 100 Prozent befolgt werden (z. B. aufgrund mangelnder Akzeptanz der Triebfahrzeugführer). Beide Faktoren verringern die erzielbaren Energieeinsparungen und sind ohne konkrete Erfahrungswerte in einer Simulation nur schwer realitätsgetreu abzubilden.

In Summe führen diese Effekte bei einer Simulation tendenziell zu einer Überschätzung des vorhandenen Potenzials. Echte Daten sind hingegen Mangelware – nicht zuletzt aufgrund der noch immer geringen Marktdurchdringung. Die Anschaffung eines FAS vor dem Management zu begründen, fällt in Anbetracht dieser Unsicherheit schwer.

Dies gilt umso mehr, als mit der Entscheidung für die Nutzung eines FAS natürlich auch Kosten verbunden sind. Denn neben den eigentlichen Anschaffungs- und Installationskosten werden für den Betrieb von FAS u. a. Daten zur Streckentopografie benötigt. Zudem sollten – sofern möglich – dynamische Verkehrsdaten [2] des Infrastrukturbetreibers angebunden werden. In der Regel müssen derartige Inputdaten heute noch von den EVU gekauft oder erhoben werden, da den Betreibern von FAS ein entsprechender Datenzugang von Seiten der Netzbetreiber verwehrt wird. Zugleich ist es erforderlich, die Triebfahrzeugführer als maßgebliche Stakeholder im Umgang mit dem neuen System zu schulen und insbesondere in der ersten Phase der Nutzung nachhaltig zu betreuen. Eine ökonomische Betrachtung führt vor dem Hintergrund der unsicheren Einsparungen deshalb schnell zu einer ablehnenden Haltung des Managements. In der Folge nehmen FAS trotz vielversprechender Aussagen der Hersteller und sogar bestehender, attraktiver Fördermöglichkeiten (bspw. der sogenannten EKF-Förderung [3]) bislang nicht den Stellenwert ein, der einer effektiven Maßnahme zur Steigerung der Energieeffizienz zugetraut werden kann.

Ein fundiertes Prognosemodell kann FAS zum Durchbruch verhelfen

Selbst wenn Echtdaten aus dem Einsatz eines FAS vorliegen, ist die Berechnung der hierdurch realisierten Energieeinsparung alles andere als trivial. Viele weitere Faktoren wie angehängte Last, Witterung oder Streckentopografie beeinflussen den Energieverbrauch einer Zugfahrt maßgeblich. Ein bloßer Abgleich von Fahrten mit und ohne FAS führt somit nicht zum Ziel, stattdessen muss der Einfluss des FAS unter Verwendung statistischer Methoden sorgfältig isoliert werden. DB Cargo, DB Analytics, Knorr-Bremse und die Beratungsgesellschaft Berg Lund & Company (BLC) haben im engen Zusammenspiel ein solches System erfolgreich entwickelt und dabei den Einfluss des FAS LEADER untersucht. Damit sollte zum einen gezeigt werden, welche Energieeffizienzen sich durch den Einsatz eines FAS heben lassen, zum anderen aber auch, wie sich die Ergebnisse bei DB Cargo auf andere interessierte EVU übertragen lassen.

Hierfür wurde der in Abbildung 1 skizzierte dreistufige Ansatz gewählt. Im ersten Schritt wurden die Daten der DB Cargo ausgewertet und ein geeignetes statistisches Verfahren zur zuverlässigen Nachweisführung der isoliert durch das FAS erzielten Energieeinsparung entwickelt. Nach der Implementierung dieses Verfahrens wurde in einem zweiten Schritt untersucht, welche verkehrs- und ggf. EVU-spezifischen Faktoren die erzielbare Energieeinsparung signifikant beeinflussen und wie diese charakterisiert werden können. Aus diesen Faktoren konnte eine mehrdimensionale Energiesparmatrix (ESM) aufgespannt werden, mit der sich die jeweils realisierbare Energieeinsparung pragmatisch auf ein weiteres EVU im Schienengüterverkehr übertragen lässt. Diese Übertragung erfolgt in einem dritten Schritt anhand der tatsächlichen Verkehrsverteilung des interessierten EVU in den zuvor gewählten Dimensionen. Eine Aussage über die dort erzielbare Energieeinsparung ist somit erstmals belastbar anhand von Echt-Daten möglich.

Stufe 1 – Ermittlung der Energieeinsparung durch FAS LEADER

Zunächst wurden gemeinsam mit DB Analytics repräsentative Referenzstrecken in ganz Deutschland ausgewählt, die eine gewisse Mindestlänge und Anzahl an Durchfahrten mit FAS LEADER aufweisen. Auf diesen Strecken wurden die Daten von Verkehren mit FAS LEADER und ohne FAS LEADER analysiert und hieraus Vergleichspaare gebildet. Die Vergleichbarkeit der Verkehre wurde dabei unter anderem über die Zugnummer (= identische Verkehre), die Lokbaureihe (= identische technische Eigenschaften des Triebfahrzeugs) und den Monat (= Ausschluss saisonaler Effekte) sichergestellt. Die Vergleichspaare bestehen damit jeweils aus allen möglichen Kombinationen einer Zugfahrt mit FAS LEADER und einer Zugfahrt ohne FAS LEADER, die die zuvor genannten Kriterien erfüllen. Durch Bildung aller möglichen Vergleichskombinationen kann die Datenbasis im Rahmen des statistischen Verfahrens selbst bei einer niedrigen Anzahl an Fahrten auf einer Referenzstrecke als belastbar angesehen werden.

Nun können innerhalb der aufgestellten Vergleichspaare die Differenzen des spezifischen Energieverbrauchs (in kWh je Tonnenkilometer) zwischen Fahrten mit und ohne FAS LEADER berechnet werden. Aus der Vielzahl an resultierenden Energiesparwerten für die Vergleichspaare lassen sich dann mit Hilfe von statistischen Test- und Schätzverfahren sowohl die Existenz einer gesicherten Energieeinsparung als auch deren Höhe ermitteln. Damit kann ein direkter Zusammenhang zwischen dem Einsatz des FAS LEADER und einer erzielten Energieeinsparung abgeleitet werden. Die Ergebnisse sind vielversprechend: Je nach Konfiguration der Zugfahrten können statistisch signifikante Energieeinsparungen im bis zu zweistelligen Prozentbereich nachgewiesen werden.

Stufe 2 – Aufsatz einer mehrdimensionalen Energiesparmatrix (ESM)

Eine pauschale Übertragung der Ergebnisse auf ein beliebiges EVU ist daraus allerdings noch nicht zulässig; zu unterschiedlich sind die Ergebnisse je nach Art und Charakteristik des EVU und der durchgeführten Verkehre. Als Haupteinflussfaktoren auf die erzielbare Energieeinsparung konnten aus einer Vielzahl möglicher Treiber auch unter Berücksichtigung von Datenverfügbarkeit und Praktikabilität die folgenden Dimensionen bestimmt werden:

  • Alter der Baureihe des verwendeten Triebfahrzeugs
  • Angehängte Last der Zugfahrt
  • Topografie der Strecke

Auf Basis dieser drei Dimensionen können die oben beschriebenen Vergleichspaare in noch feinerer Klassifizierung untersucht werden. So lässt sich eine dreidimensionale Energiesparmatrix aufspannen, die für unterschiedliche Cluster in den entsprechenden Dimensionen die jeweils erzielbare relative Energieeinsparung ausweist.

Stufe 3 – Übertragung der Ergebnisse auf interessierte EVU

Interessiert sich nun ein EVU für den Einsatz eines FAS, lässt sich auf Basis der Echt-Daten der DB Cargo und unter Berücksichtigung individueller Charakteristika des EVU eine belastbare Aussage über die erzielbare Energieeinsparung treffen. Dies kann einfach geschehen, indem die individuelle Häufigkeitsverteilung der Verkehre des EVU in den jeweils berücksichtigten Dimensionen bzw. gebildeten Clustern mit den Ergebnissen der ESM multipliziert wird. Dabei ist es sogar möglich, auf individuelle Besonderheiten einzelner EVU einzugehen und die ESM oder deren Clusterung entsprechend anzupassen, um die reibungslose Übertragbarkeit der Daten zu gewährleisten. Im Ergebnis lässt sich bestimmen, mit welcher Energieeinsparung ein interessiertes EVU auf Basis seiner individuellen Verkehrsverteilung rechnen kann.

Entscheidend für die Übertragbarkeit der Ergebnisse bleibt die tatsächliche Nutzungsrate und Akzeptanz des FAS bei den betroffenen Triebfahrzeugführern – denn sie und nicht das System bestimmen letztendlich über die Fahrgeschwindigkeit (Bild 3). Die Basisdaten aus dem Betrieb von FAS LEADER bei DB Cargo sind einem mittlerweile etablierten und gut akzeptierten System entnommen. Gerade in der Einführungsphase ist daher die Bedeutung des Themas Changemanagement hervorzuheben – ein interessiertes EVU sollte hier alle Hebel in Bewegung setzen, um möglichst schnell das volle Potenzial ausschöpfen und einen erfolgreichen Betrieb gewährleisten zu können.

Mitarbeiter bedient Steuerung im Zugführerstand.Mitarbeiter bedient Steuerung im Zugführerstand.
Bild 3: Entscheidend für die Übertragbarkeit der Ergebnisse bleibt die tatsächliche Nutzungsrate und Akzeptanz des FAS bei den betroffenen Triebfahrzeugführern – denn sie bestimmen letztendlich die Fahrgeschwindigkeit.

Belastbare Business Cases erleichtern die Invest-Entscheidung für EVU

Die Prognosegüte einer möglichen Energieeinsparung lässt sich durch die Berücksichtigung von Echt-Daten und der konkreten Verkehrscharakteristika eines interessierten EVU deutlich steigern. Entscheider im Unternehmen müssen sich nun nicht mehr auf generisch simulierte Energieeinsparungswerte verlassen, sondern können auf individuell für ihr Unternehmen übertragene Echt-Daten zugreifen. Den notwendigen Kosten für Anschaffung und Betrieb eines FAS stehen damit verlässliche Prognosen für die Einsparungen aufgrund einer höheren Energieeffizienz gegenüber. Weitere Unternehmensspezifika interessierter EVU können mit geringem Aufwand jederzeit berücksichtigt werden.

Wir hoffen, dass in Zukunft möglichst viele EVU ihre Energieeffizienz durch die Verwendung von FAS erhöhen und somit dazu beitragen, die Attraktivität der Schiene als klimafreundlichen Verkehrsträger weiter zu steigern - eine belastbare Grundlage für die Entscheidungsfindung ist nun in jedem Fall verfügbar.

Autoren: Dr. Martin Bernhardt, Jörg Schneider, Eva Lohmeier

Literaturverzeichnis

[1] Im Rahmen einer aktuellen Marktstudie (Herbst 2020) von Knorr-Bremse und BLC wurden in 5 Ländern insgesamt 24 EVU und Vermieter aus dem Personen- und Güterverkehr befragt. Nahezu alle Unternehmen äußern „hohes“ oder sogar „sehr hohes“ Interesse am Einsatz von Fahrerassistenzsystemen. Mindestens für einen Teil der Flotte im Einsatz haben eine entsprechende Technologie allerdings bisher nur 7 EVU.

[2] Die Anbindung von live-Verkehrsinformationen ist ein maßgeblicher Hebel zum Erfolg beim Einsatz von FAS. Sog. „c-DAS“ (connected Driver Advisory Systems) tragen über die Verbesserung der Streckenauslastung und die erhöhte Akzeptanz bei den Triebfahrzeugführern wesentlich zur Energieeffizienz bei.

[3] Vgl.
https://www.bav.bund.de/DE/4_Foerderprogramme/93_Energieeffizienz_Eisenbahnverkehr/Energieeffizienz_Eisenbahnverkehr_node.html bzw. Bernhardt (2019): Das Fördergeld liegt auf der Schiene, Bahn Manager 06/2019, S. 12-15.

Druckversion

FAS LEADER
[PDF, 3,4 MB]
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