Konnektivität zwischen einzelnen Zugkomponenten des Knorr-Bremse Portfolios von digitalen Lösungen und individuell kombinierbaren Features

Das „Internet of Trains“ nimmt Fahrt auf

In der Schienenfahrzeugbranche bildet sich mit dem „Internet of Things“-korrespondierenden „Internet of Trains“ zunehmend heraus, wie das IoT-Zusammenspiel der zahlreichen Akteure auf der Schiene in Zukunft funktionieren soll. Der Erfolg steht und fällt dabei mit einem einheitlichen Datenaustauschkonzept.

Am Anfang übernahm das „Internet of Things“ (IoT) eher die Rolle einer Spielwiese für ausgewiesene IT-Experten. Sie statteten Maschinen mit Sensoren, Cloud- und Netzwerkzugängen aus und ließen sie untereinander kommunizieren. Mittlerweile gewinnt die Verknüpfung physischer Objekte auch in der Schienenfahrzeugbranche an Bedeutung. Echtzeitinformationen zu Anschlusszügen und Verspätungsprognosen für den Fahrgastkomfort. Die vorausschauende Instandhaltung für minimierte Ausfallzeiten und verbesserten Zugbetrieb beim Betreiber. Oder die Zustandsanalyse von Gleis- und Signalanlagen beim Infrastruktureigentümer.Die unverzichtbare Voraussetzung ist bei alldem dieKonnektivität zwischen Subsystemen, Fahrzeugen und Infrastruktur – sowie die Möglichkeit, spezifische Funktionalitäten branchenweit zu skalieren.

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Zusammenschluss bei der Zustandsüberwachung von Klimasystemen

Eine solche Skalierung haben Siemens Mobility und Knorr-Bremse im Jahr 2022 bei der digitalen Zustandsüberwachung von Klimasystemen im großen Stil bereits umgesetzt. Konkret handelt es sich dabei um 172 Regionalzüge der englischen South Western Railway, deren 733 Klimasysteme mit einem digitalen Nachrüst-Kit der Knorr-Bremse-Lösung für die Zustandsüberwachung ausgestattet wurden.

Übertragen in die gemeinsam genutzte Plattform der Kooperationspartner lassen sich die im Fahrzeugbetrieb erhobenen Big Data Insights – beispielsweise Temperaturen, um daraus die Leistung der Klimaanlagen während des Betriebs ableiten zu können – seither mit KI-Unterstützung zu einem umfassenden Klimasystem-Monitoring verarbeiten. Übersichtlich visualisiert, gewährt dieser „Datendurchstich“ den Service-Teams in den Werkstätten von Siemens Mobility die Möglichkeit, denkbare Reparaturbedarfe frühzeitig abzuleiten und diese proaktiv angehen zu können – lange bevor ungeplante Reparaturen den Fahrzeugbetrieb beeinträchtigt.

Ein weiterer Big Data Insight mit korrespondierender “IoT”-Funktionalität gelingt über die zusätzlich verbaute CO2-Sensorik. Fällt die Luftqualität unter einen gesetzten Grenzwert, erhöht die Steuerung die Frischluftzufuhr. Da Frischluft in vielen Situationen gekühlt oder erwärmt werden muss, reduziert diese bedarfsorientierte Einspeisung im Vergleich zu einer standardmäßigen Einspeisung den Energieverbrauch und verbessert den ökologischen Fußabdruck der Züge. Während der Covid-19-Pandemie ließ sich die dahinterstehende Logik unkompliziert umdrehen und durch eine erhöhte Frischluftzufuhr die Luftqualität in den Wagen und Abteilen verbessern.

Zwischen einem bestimmten Fahrzeughersteller und einem bestimmten Subsystemlieferanten lassen sich Betriebsdaten bereits über eine projektspezifische Schnittstelle vergleichsweise unkompliziert austauschen. Um den Mehrwert der Digitalisierung jedoch voll ausschöpfen zu können, sind die Daten zahlreicher Akteure nötig. Im besten Fall bilden sie die gesamte Wertschöpfungskette ab.

Bild 1: Zusammenführung von Daten aus Zügen und dem Betrieb verschiedener Akteure (Quelle: Knorr-Bremse Systeme für Schienenfahrzeuge GmbH).

IoT-Zusammenspiel verlangt Veränderungsbereitschaft in der Bahnindustrie

Doch mit der steigenden Anzahl der Akteure steigt auch die Komplexität der Zusammenarbeit, wie das folgende Beispiel verdeutlicht: Angenommen, die Sensorik eines Achslagers meldet auffällige Vibrationswerte, die auf einen baldigen Ausfall des Lagers hinweisen. Die Komponente lässt sich auf vorausschauender Basis auswechseln und ein ungeplanter Fahrzeugstillstand, aufgrund des Achslagers, ist aller Wahrscheinlichkeit nach vermieden. Dabei handelt es sich um einen klassischen Fall von Predictive Maintenance. Die nächste Stufe des Mehrwerts wäre jedoch erst mit einer weiteren Information erreicht, im Beispielfall: Sind andere Achslager nach einer Fahrt über dieselbe Strecke ebenfalls betroffen? Dann könnte die Ursache in einem bestimmten Abschnitt der Trasseninfrastruktur verborgen liegen. Eine Beschädigung auf der Schiene ließe sich mit dieser Information zügig finden und reparieren. Ähnliche Schäden an weiteren Achslagern, Fahrzeugkomponenten oder Fahrzeugen könnten noch vor ihrem Auftreten vermieden werden. Gleiches gilt für etwaige Folgeschäden an der Infrastruktur durch eine zu späte Reparatur. Dadurch zeigt sich einmal mehr, dass Daten einzelner (Sub-) Systeme isoliert sowie insbesondere aggregiert werthaltige Informationen darstellen.

In aller Regel besitzen Betreiber und oft auch Fahrzeugbauer jedoch nur begrenzte Möglichkeiten, die Daten aus Subsystemen oder Komponenten treffend zu interpretieren. Deren Hersteller sind wiederum genau dazu in der Lage. Für neuen Mehrwert in Planung und Betrieb, Diagnose und Instandhaltung, Asset Management oder Kundenservice, müssen die Daten für zunehmend mehr Teilnehmer sowie in Echtzeit verfügbar sein. Am besten ist die gesamte Wertschöpfungskette sprichwörtlichen im Boot und kann die Daten lesen, auswerten und in ihre Dienste integrieren.

Zunächst ist also die Erkenntnis essenziell, dass ein umfangreicher Datenaustausch ein stetiges Geben und Nehmen bedeutet. Zwar herrscht mittlerweile die Einigkeit, dass Daten stets dem Eigentümer des Assets gehören, also in der Regel dem Fahrzeugbetreiber. Will dieser jedoch die Möglichkeiten des IoT an seinem Asset umfänglich nutzen, muss auch er den Willen zum Daten-Sharing mitbringen. Dieser Wille dürfte sich jedoch beim Eigentümer erst einstellen, wenn die jeweiligen IoT-Anwendungen und deren Mehrwert transparent dargelegt sind. Dazu wiederum müssen alle Beteiligten in Chancen denken und dürfen sich nicht von Risiken abschrecken lassen.

Um Standards und Formate für den Datenaustausch zu etablieren und zu skalieren, ist die Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern im Sinne einer „Coopetition“ unbedingt erforderlich. Deren Erfolg steht und fällt jedoch mit einem einheitlichen Data Space für die Schienenfahrzeugwelt.

Vertrauenswürdige Architektur in Anlehnung an Gaia-X und die EU Common Data Spaces

Ein solcher Rail Data Space stellt einen Teil des Arbeitspakets FA1 „MOTIONAL” des Europe’s Rail Joint Undertaking (ER  im  “Horizon Europe” (2021 bis 2027) dar. Ziel ist der Entwurf einer offenen, sicheren und vertrauenswürdigen Architektur im Sinne des “EU Data Act”-Gesetzesvorschlags, in der die beteiligten Akteure ihre Daten zur Vernetzung von Geschäftsprozessen effektiv teilen können.

Bei den technischen Lösungsansätzen muss das sprichwörtliche Rad nicht zum zweiten Mal erfunden werden. Vieles spricht dafür, dass eine Anlehnung an das Verbundprojekt Gaia-X möglich ist, in dessen Rahmen sich aktuell eine souveräne Cloud- und Dateninfrastruktur für Europa in der Erarbeitung befindet. Diese Struktur kann die Grundlage liefern, die es im nächsten Schritt mit dem dezentralen Rail Data Space mit Leben zu füllen gilt.

Es versteht sich von selbst, dass dabei eine Vielzahl von Aspekten rund um Datenschutz, Datensicherheit, Intellectual Property, modernen Verarbeitungsansätzen wie KI-Implementierung zur Analyse und Vorhersage von Daten sowie die Möglichkeit zur Kontrolle der eigenen Daten zu berücksichtigen ist.

Bei der Ausgestaltung bietet erneut ein Blick in Richtung EU-Ebene Orientierung: Die im Rahmen der EU Data Strategy entwickelten EU Common Data Spaces für einen einheitlichen und interoperablen Datenaustauschraum innerhalb der EU.

Am Ende könnte das Konzept für ein „Internet of Trains“ oder gar „Internet of Mobility“ (IoM) stehen und dabei Fahrzeuge inklusive Subsysteme und Komponenten mit Betreibern und Betriebshöfen, Infrastruktureigentümer, Haltestellen, Leitstellen, IT-Serviceanbieter und letztendlich auch (multimodale) Auskunftsportale sowie Fahrgast-Smartphones vernetzen.

Ein solch gesamtheitlicher Fokus auf den Bahn- respektive Mobilitätssektor mündet zweifellos in einer gewaltigen Herausforderung. Doch der Mehrwert für die urbanisierte Welt wäre enorm: Die Branche hätte den entscheidenden Schritt gemacht hin zu einem umfassenden und intelligenten Verkehrssystem, in dem Menschen und Güter schneller, effizienter, günstiger und bedarfsgerechter von A nach B kommen.

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Internet of Trains_ ETR Ausgabe 7+8/23
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