Digitaler Güterzug: Herausforderungen der interoperablen Automatisierung für die Steigerung der Effizienz im Schienengüterverkehr

Wettbewerbsfähiger Schienengüterverkehr mit digitalisierungs- und automatisierungsfähigen Wagen

Den Fokus bei der Senkung der CO2-Emissionen auf den Verkehrssektor zu legen ist nur folgerichtig: Dieser stellt den größten Energieverbraucher und drittgrößten Treibhausgasproduzent in Deutschland dar [4]. Genauso konsequent ist es, den Fokus innerhalb des Verkehrssektors auf die Schiene zu legen. Umgerechnet auf Tonnenkilometer stößt ein Lkw etwa sechseinhalb Mal mehr Treibhausgase aus als ein Güterzug – etwa 111 Gramm anstatt 17 Gramm [5]. Die Zahlen untermauern die Aussage: Je höher der Marktanteil der Schiene, desto wirksamer wird auch der Beitrag zum Klimaschutz. Dies ist der Hintergrund, vor dem die EU ein hohes Ziel formulierte: Bis zum Jahr 2030 soll der Anteil des Gütertransports auf der Schiene auf mindestens 30 Prozent steigen. Im Jahr 2019 hatte dieser noch bei etwa 18 Prozent gelegen

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Abbildung 1: Diagramm der Verteilung von Gütertransport heute und in Zukunft

Zusammenfassung

Für das von der Europäischen Union (EU) gesetzte Ziel, den Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene (2019: etwa 18 %) [1] bis zum Jahr 2030 auf 30 % zu steigern, gilt die Digitalisierung und Automatisierung des Güterzugs (Digital Freight Train, DFT) als unumgänglich. Entsprechend stark gewichtet sind deshalb im EU-Technologieförderungsprogramm Europe’s Rail Joint Undertaking (ERJU) [2] sowohl Technologien für den „Shift“ von der Straße auf die Schiene als auch die Definition von Standards hinsichtlich der Interoperabilität von Fahrzeugen des Schienengüterverkehrs. Als Herzstück des DFT kommt der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) eine besondere Bedeutung zu: Prozesse, die bislang noch zeitaufwendig manuell durchgeführt werden, soll die DAK bald automatisiert umsetzen und zusätzlich auch die Energieversorgung und die Datenkommunikation der Fahrzeuge ermöglichen. Mehrere ERJU-Arbeitspakete [3] treiben nun den Aufbau diverser Demonstratoren inklusive eines Referenztestsystems voran.

ERJU setzt klare Schwerpunkte auf die Digitalisierung und Automatisierung von Güterwagen

Mit dem Technologieförderungsprogramm Europe’s Rail Joint Undertaking (ERJU) beginnen Europäische Union und europäische Bahnindustrie, die dafür nötigen Technologien zur Marktreife zu bringen. Die Big Player auf Betreiber- und Systemlieferantenebene wie Knorr-Bremse, aber auch Unternehmen aus der Verkehrsinfrastruktur sowie Forschungseinrichtungen, bündeln dazu ihr spezifisches Know-how.Die „Transformation des Europäischen Güterverkehrs“ („Transforming Europe’s Rail Freight“) in Form einer eigenen Flagship Area innerhalb des ERJU-Programms zeigt die Gewichtung, die Brüssel der grundlegenden Modernisierung des Schienengüterverkehrs beimisst. Auch innerhalb der Flagship Area setzt der Fördergeber klare Schwerpunkte auf die Digitalisierung und Automatisierung von Güterwagen und Lokomotiven.Zwei Arbeitspakete werden dabei in absehbarer Zukunft wesentlich: Das Arbeitspaket „Digital Interoperable Freight Train“ mit dem Ziel des Aufbaus eines herstellerübergreifenden Markts für Automatisierungslösungen in den digitalen interoperablen Güterzugfahrzeugen. Die beteiligten Hersteller der Fahrzeugsteuerungen werden im Rahmen des Programms ihre Lösungen hinsichtlich der Interoperabilität entsprechend anpassen. Das zweite, „Digital Automated Coupler Type 5“, fokussiert die Interoperabilität der Kupplungen von den Herstellern bis hin zu einer vollständigen Automatisierung.

Abbildung 2: Der digitale Güterzug leitet den Epochenwechsel im Frachtverkehr ein.
Abbildung 3: Der DFT mit seinen digitalen und automatischen Funktionalitäten & Komponenten

Die Digitale Automatische Kupplung als Enabler des Digital Interoperable Freight Train

Die Digitale Automatische Kupplung (DAK) fungiert bei alldem als zentraler Wegbereiter. Zum einen vereinfacht sie den zeitaufwendigen Prozess des manuellen Kuppelns, indem sie die mechanische und pneumatische Verbindung zwischen den Wagen untereinander sowie auch zur Lok herstellt. Zum anderen stellt sie die elektrische Energieversorgung der Wagen aus der Lokomotive her und schließt das Kommunikationsnetzwerk entlang des Zugverbands. Dabei liegt auf der Hand, dass die DAK ihren vollständigen Nutzen erst dann entfalten kann, wenn ihre Funktionalitäten direkt vom Führungsfahrzeug aus durchgeführt werden können.Zusätzlich zum Kuppeln und Entkuppeln der DAK stehen für den effizienten Zugbetrieb drei weitere Funktionsbereiche im Mittelpunkt: Die automatisierte Bremsprobe als Ersatz für das zeitaufwendige Ablaufen des Zugverbands durch das Vorbereitungspersonal. Als umfassendes Überwachungssystem konzipiert, erfasst die Bremsprobe alle relevanten Bremszustände und visualisiert sie benutzerfreundlich in Echtzeit auf stationären oder mobilen Endgeräten im Führungsfahrzeug. Zweitens erübrigen die automatische Zugkompositionserkennung sowie Zugvollständigkeits¬überwachung die End-of-Train-Geräte und beschleunigen die Zugkompositionserkennung und bildet die Grundlage für die Ausführung aller sicherheitsrelevanter Zugfunktionen. Sie ermöglicht auch die Feststellung der vollständigen Zuglänge.Drittens verhindert die automatisierte Feststellbremse durch Blockierung der Räder langfristig ungewolltes Wegrollen von Wagen und Wagengruppen. Eine Ausrüstung am Wagen vorausgesetzt, könnte diese auch die Ansteuerung der (zusätzlich nötigen) Aktuatoren zum Anlegen oder Lösen einer Weitere Anforderungen existieren hinsichtlich Energiemanagement und der sicheren Kommunikation innerhalb des Zugverbands sowie von und zur Cloud. Hinreichende Maßnahmen zur Abwehr von Cyberangriffen müssen dabei von vornherein etabliert werden. Bild 3 zeigt den DFT mit dessen digitalen und automatischen Funktionalitäten & Komponenten. Dabei sind von links nach rechts die DAK, die kompakte Güterwagenbremse (CFCB), die Freight Control Steuerung und das KEf Steuerventil mit Sensor Box zu sehen.

ERJU-Arbeitspaket „Gründung der funktionalen Interoperabilität“

Der Nutzwert eines digitalisierten und automatisierten Güterverkehrs steht und fällt – Stichwort Interoperabilität der Fahrzeuge – mit europäischen Standards hinsichtlich der Schnittstellen von Mechanik, Energieversorgung, Datenkommunikation und damit der eigentlichen Zugfunktionen. Die funktionale Sicherheit dieser Zugfunktionen muss möglichst generisch für den europäischen Schienengüterverkehr (z.B. Spezifika der unterschiedlichen Regionen, kleine und große Eisenbahnunternehmen) betrachtet werden, um eine europäische Zulassung zu ermöglichen. Deshalb bedarf es einer einheitlichen Definition von Betriebsprozessen bei Fahrzeugen mit DAK-Ausrüstung.Diese Definition der Interoperabilität erfolgt in Abstimmung mit den beteiligten Bahnbetreibern, die die vereinheitlichten Betriebsprozesse ausarbeitet. Die Aufgabenstellung lautet, bis Jahresende 2023 die Spezifikationen für die Interoperabilität der DAK, die Energieversorgung des Zuges aus der Lok, die Kommunikationstechnologie zur Datenübertragung sowie der Zugfunktionen zu erstellen.Das Prinzip der einheitlichen Betriebsprozesse setzt sich somit eine Ebene tiefer bei den einheitlichen Zugfunktionen fort. Neben deren funktionalen Spezifikationen gilt es Schnittstellen für den Datenaustausch zwischen den Fahrzeugen sowie vom Führungsfahrzeug zum Nutzer zu definieren. Darüber hinaus ist die Testspezifikation zum Nachweis der Funktionen in Labor- und Feldtests sowie die Spezifikation eines Referenzprüfsystems nötig (Bild 4).

Abbildung 4: Zukünftige Architektur des Digital Freight Trains.

5 Nachweis der herstellerseitigen Umsetzung der Spezifikationen zur Interoperabilität

Die Nachweisführung soll im ERJU-Rahmen auf Basis von Feldtest mit realen Güterfahrzeugen in Form eines Train Test Labs erfolgen. Dazu sollen bis zu 100 Güterwagen und 4 Lokomotiven einen Zugverband bilden.Folgende fünf Einzelprojekte sind in diesem Arbeitspaket definiert:

• Setup Train Lab and Vehicles: Aufbau eines Zugdemonstrators zur Validierung von Hardware und Funktionalitäten des Digitalen Güterzugs in realer Betriebsumgebung.

• Reference Test System: Aufbau eines Referenzprüfsystems zur vollumfänglichen Funktionsprüfung aller Digitalisierungs- und Automatisierungsausrüstungen der zukünftigen Güterzüge hinsichtlich definierter Standards und Schnittstellen.

• DAC Functional Train Laboratory Tests: Absicherung der Interoperabilität der verschiedenen DAK-Typen sowie Untersuchungen zur Eignung hinsichtlich Migration, Montage und betrieblicher Nutzung.

• Power Supply & Data Communication Train Lab Tests: Validierung von elektrischer Versorgung sowie Datenverbindungen im Zug und innerhalb der einzelnen Fahrzeuge.

• Train Lab Tests for Train Functions: Validierung der DFT-Zugfunktionen, also etwa automatisierte Bremsprobe, Feststellbremsenansteuerung, Zugkompositionserkennung, Zugvollständigkeitsüberwachung, sowie die Nutzbarkeit von Anzeige- und Bedienelementen.

Sind die einzelnen Spezifikationen erfolgreich im Train Test Lab sowie weiteren ab Anfang des Jahres 2025 verkehrenden Testzügen nachgewiesen, steht als nächster Schritt ihre Überführung in europäische Standards an. Ähnlich dem EN-Standard zu pneumatischen Bremssystemen, um beispielsweise die Verwendung von Steuerventilen verschiedener Hersteller in einem Zugverband zu ermöglichen, ist ein entsprechendes Regelwerk etwa zu Netzwerkkommunikation, Anwendungsprofilen sowie Stromversorgung zu etablieren.

Herausforderungen bis zur Betriebsaufnahme

Ein derartiges Mammutprojekt geht mit vielfältigen Herausforderungen einher, die neben dem engen Zeitplan für die Hersteller wohl größte: Die durchzuführende Gefährdungsanalyse und die anschließende technische Spezifikation der Gewerke Kupplung, Energieversorgung, Datenkommunikation und Zugfunktionen. Diese muss initial hinreichend sichere, zuverlässige und interoperable technische Lösungen hervorbringen. Die Harmonisierung der verschiedenen Lösungsansätze der Hersteller wird anspruchsvoll, die Kosten müssten im gesteckten Rahmen bleiben.Eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur Betriebsaufnahme stellt auch die Zulassung der technischen Lösungen dar. Dies betrifft nicht nur die Zulassung (TSI, EN-Standardisierung) der technischen Lösungen selbst, sondern insbesondere den generellen Weg einer effizienten europaweiten Zulassung. Er ist für eine effektive Migration der Lösungen unerlässlich. Dies gilt auch für zukünftige Neufahrzeuge sowie spätere Nachweise von Änderungen der Fahrzeugtypen im Betrieb. Der mit der Migration zu erreichende Ausrüstungszustand der Fahrzeuge, also eine einheitliche Technologiestufe, muss europaweit möglichst einheitlich festgelegt werden, da sonst Investitionen in z.B. eine DAK5-Ausrüstung in Kombination von gemischten Zügen mit DAK4-Ausrüstungen ins Leere laufen würden. An dieser Stelle ist vor allem die Politik gefragt, um das vorhandene Gefälle bei der Verfügbarkeit von Rangierpersonal in Europa zu berücksichtigen und eine sinnvolle Entscheidungsfindung über Ländergrenzen hinweg zu begleiten. Die Migration der Flotte auf die neue Technologiestufe muss entsprechend der harmonisierten Zielvorgaben vollständig geplant und umgesetzt werden. Dies erfordert eine europaweite Beteiligung von kleineren Bahnen, Wagenhaltern, Lok- und Wagenherstellern sowie den jeweiligen Wartungsverantwortlichen.Auch auf die Wartung der Schienenverkehrsfahrzeuge kommen erhebliche Veränderungen zu, denn die elektrotechnische/elektronische Wartung ist in den Werkstätten bisher nur auf die meist autarken Telematiksysteme beschränkt. Es bedarf hier der besonderen Beachtung des Technologiesprungs in der Einführungsphase (Bild5, Bild6).

Autor: Steffen Jass

Literatur:

[1] Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB): VDB-Klimabild 2030, Clean Mobility. Made in Germany. Diskussionspapier. (2019), S. 15.

[2] Finanziert von der Europäischen Union. Die in dem Artikel geäußerten Ansichten und Meinungen sind jedoch ausschließlich die des Autors und spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Union oder des ERJU wider. Weder die Europäische Union noch das ERJU können für den Inhalt verantwortlich gemacht werden. // Funded by the European Union. Views and opinions expressed are however those of the author only and do not necessarily reflect those of the European Union or ERJU. Neither the European Union nor ERJU can be held responsible for them.

[3] Das Projekt wird von Europe’s Rail Joint Undertaking und seinen Mitgliedern unterstützt. // The project is supported by the Europe’s Rail Joint Undertaking and its members.

[4] Energieverbrauch nach Energieträgern und Sektoren. Umweltbundesamt. https://www.umweltbundesamt.de , abgerufen am 30.03.2023.

[5] Höhe der Treibhausgas-Emissionen im deutschen Güterverkehr nach Verkehrsträgern im Jahr 2019. Statista. https://de.statista.com , abgerufen am 30.03.2023.

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